Dienstag, 30. September 2014

Das ursprüngliche Denken und die Spekulation.


Caravaggio

Ein anderes ist das abstrakte Denken in der Philosophie, dessen Möglichkeite selbst durch die vorangegangene Erfahrung bedingt ist: Wir fangen unser Leben nicht an beim Spekulieren, sondern wir fangen es eben beim Leben selbst an. 

Ein anderes ist das ursprüngliche und bestimmte Denken auf dem Gesichtspunkte der Erfahrung. Der Begriff der Freiheit, wie wir ihn oben hatten, kam für uns durch Abstraktion, durch Analyse zu Stande; wir hätten ihn aber so gar nicht zu Stande bringen können, wenn wir ihn nicht schon vorher gehabt hätten, als gegeben und zu seiner Zeit gefunden

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System der Sittenlehre, SW IV, S. 78




Montag, 29. September 2014

Produktive Arbeit.


Courbet, Holzfäller

Wessen sind wir uns denn eigentlich bewusst, wenn wir uns unseres Wirkens in der Sinnenwelt bewusst zu sein glauben? Was kann in diesem unmittelbaren Bewusstsein liegen, und was kann nicht in ihm liegen? - Wir sind uns unmittelbar bewusst unseres Begriffes vom Zwecke, des eigentlichen Wollens; einer absoluten Selbstbestimmung, wodurch gleichsam das ganze Gemüt auf einen einzigen Punkt zusammengefasst wird. Wir werden uns ferner unmittelbar bewusst der Realität und wirklichen Empfindung des vorher nur im Zweckbegriffe gedachten Objektes, als eines in der Sinnenwelt wirklich gegebenen.

Es dürfte jemand vorläufig einwenden: auch der Arbeit des Hervorbringens, die zwischen dem Entschluss des Willens und seiner Realisation in der Sinnenwelt in die Mitte fällt, sind wir uns bewusst. Ich antworte: dies ist kein besonderes Bewusstsein, sondern lediglich das schon angezeigte allmähliche Bewusstsein unserer Befriedigung. Von der Fassung des Entschlusses geht diese an und sukzessiv fort, indem das Wollen sukzessiv fortgesetzt wird, bis zur vollständigen Ausführung unseres Zweckbegriffs. Also - dieses Bewusstsein ist nur die synthetische Vereinigung der aufgezeigten beiden Arten des Bewusstseins, des Wollens und des Gewollten, als eines wirklichen. 

Keinesweges bewusst sind wir uns des Zusammenhanges zwischen unserem Wollen und der Empfindung der Realität des Gewollten. ... /...

Was ich wollte, ist, wenn es wirklich wird, Objekt einer Empfindung. Es muss sonach ein bestimmtes Gefühl vorhanden sein, zufolge dessen es gesetzt wird, da alle Realität für mich nur unter dieser Bedingung stattfindet. Mein Wollen wäre sonach in diesem Falle von einem auf das Gewollte sich beziehenden Gefühle begleitet; durch welche Ansicht wir soviel gewinnen, dass die Sphäre unserer Untersuchung legiglich in das Ich fällt; wir nur von dem zu reden haben, was in uns vorgeht, keinesweges von dem, was außer uns vorgehen soll.

Gefühl ist immer Ausdruck unserer Begrenztheit; so auch hier. Nun ist in unserem Falle insbesondere ein Übergang von einem Gefühl, bezogen auf das Objekt, wie es / ohne unser Zutun sein sollte, zu einem anderen Gefühle, bezogen auf dasselbe Objekt, wie es durch unsere Wirksamkeit modifiziert sein soll. Es ist sonach, da das letztere Produkt unserer Freiheit sein soll, ein Übergang aus einem begrenzten zu einem minder begrenzten Zustande.

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System der Sitttenlehre, SW IV, S. 70ff.

 
Nota. 

Es ist hier von der wirklichen, prosaischen, produktiven Arbeit die Rede. Wenn er aber einerseits alles Wirken nach Zweckbegriff, alle Zwecke dann mit der Pflicht, und die("annäherungsweise") Erfüllung der Pflicht schließlich mit der produktiven Arbeit in Zusammenhang bringt, kann nicht ausbleiben, dass er hinterher Sittlichkeit, die ich mir selbst gebiete, und gesellschaftliche Verantwortung, die mir das Vertragsverhältnis gebietet, mit einander vermengt findet. Er hat den 'Vernunftzweck' einer nicht nur rechtlichen, sondern gerechten Gesellschaftsver- fassung als ein Ideal über mein Gewissen  gestülpt und beides zu einem Sittengesetz vermengt,  das er dann auch noch göttlich aufgeladen hat.

Mögen sie ihm nachgesagt haben, er sei Atheist gewesen - aber Lutheraner war er auf jeden Fall...
JE

Sonntag, 28. September 2014

Auf dem Weg zum Ziel.



Ich soll etwas heißt: ich soll dasselbe außer mir hervorbringen; oder, wenn ich auch, da es ohne Zweifel mir ein unendliches Ziel setzt, indem es nie ist, sondern immer nur sein soll, es nie vollständig realisieren könnte, so soll ich doch immer so wirken, dass ich mich auf dem Wege der Annäherung zu meinem Ziele befinde. Ich soll also doch manches, das auf diesem Wege liegt, wirklich hervorbringen.
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System der Sitttenlehre, SW IV, S. 66



Nota.

Da ist sie wieder, die für Fichte ungehörige Vermengung von  Moralität und Recht. Die Fiktion eines vernünftigen Endzustandes - das "unendliche Ziel" - kann ja nur mein Verhältnis zu Anderen betreffen; was ich ihnen schulde und sie mir, d. h. in Staat und Gesellschaft. Was ich mir selber schulde, kommt in keinerlei 'Zustand' vor, sondern immer nur einzeln und ad hoc; nämlich in der Vorstellung, und nur davon kann die Rede sein. Obige 'Stelle' ist ein politisches Programm, aber kein moralisches Gebot.
J.E.




Samstag, 27. September 2014

Der Übergang von einem begrenzten zu einem minder begrenzten Zustand.



Keinesweges bewusst sind wir uns des Zusammenhanges zwischen unserem Wollen und der Empfindung der Realität des Gewollten. - Unserer Behauptung zufolge soll unser Wille die Ursache dieser Realität sein. Wie mag das zugehen? Oder wenn wir, wie es sich gebührt, die Frage transzendental ausdrücken: wie mögen wir dazu kommen, diese sonderbare Harmonie zwischen einem Zweckbegriffe und einem wirklichen Objekte außer uns anzunehmen, deren Grund keines/weges im letzteren, sondern im ersteren liegen soll? - Dass ich die Frage selbst durch Entgegensetzung deutlicher mache. Der Erkenntnisbegriff soll sein ein Nachbild von etwas außer uns; der Zweckbegriff ein Vorbild für erwas außer uns. Gleichwie dort billigerweise die Frage entsteht nach dem Grunde, nicht der Harmonie an sich - denn diese hätte keinen Sinn, indem Einheit und Harmonie zwischen Entgegengesetzten nur insofern ist, inwiefern sie gedacht wird durch eine Intelligenz -, sondern der Annahme einer solche Harmonie des Begriffes als zweitem, mit dem Ding als erstem; so wird hier umgekehrt gefragt nach dem Grunde der Annahme einer Harmonie des Dinges als zweitem mit dem Begriff als erstem.

Dort wurde die Frage beantwortet: beide sind Eins und ebendasselbe; nur angesehen von verschiedenen Seiten: der Begriff, wenn er nur ein der Vernunft notwendiger ist, ist selbst das Ding, und das Ding nichts anderes als der notwendige Begriff von ihm. Wie, wenn wir hier eine ähnliche Antwort erhielten - und dasjenige, was wir außer uns hervorgebracht zu haben glauben, nichts anderes wäre als unser Zwckbegriff selbst, angesehen von einer gewissen Seite; nur dass diese Harmonie unter einer gewissen Bedingung stattfände, und wir von dem, was unter dieser Bedingung steht, sagten: dieses können wir; von dem, was nicht darunbtersteht, sagten: diese können wir nicht?

Was ich tun soll, ist, wenn es wirklich wird, Objekt einer Empfindung. Es muss danach ein bestimmtes Gefühl vorhanden sein, zufolge dessen es gesetzt wird, da alle Realität für mich nur unter dieser Bedingung stattfindet. Mein Wollen wäre sonach in diesem Falle von einem auf das Gewollte sich beziehendes Gefühle begleitet; durch welche Ansicht wir soviel gewinnnen, dass die Sphäre unserer Untersuchung lediglich in das Ich fällt; wir nur von dem zu reden haben, was in uns selbst vorgeht, keineswegs von dem, was außer uns vorgehen soll.

Gefühl ist immer der Ausdruck unserer Begrenztheit; sonach auch hier. Nun ist in unserm Falle insbesonderne ein Übergang von einem Gefühle, bezogen auf das Objekt, wie es /  ohne unser Zutun sein sollte, zu einem anderen Gefühle, bezogen auf dasselbe Objekt, wie es durch unsere Wirksamkeit modifiziert sein soll. Es ist sonach, da das letztere Produkt unserer Freiheit sein soll, ein Übergang aus einem begrenzten zu einem minder begrenzten Zustande.

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System der Sittenlehre..., SW IV, S. 70ff.




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE     

Freitag, 26. September 2014

Logisch, historisch, genetisch.


Harald Wanetschka  / pixelio.de

Fichte unterscheidet regelmäßig zwischen logischer, historischer und genetischer Darstellung. Das mag ver- wirren, weil das, was er genetisch nennt, im herkömmlichen Verständnis mal logisch, mal historisch genannt werden würde.

Eine logische Darstellung konstruiert aus der Kombination vorgegebener Begriffe neue Begriffe; das nennt sie definieren. Eine historische Darstellung dagegen erzählt, was empirisch zu beobachten ist;  die wirkliche Geschichte der Philosophie zum Beispiel. Auch Fichte erzählt - das, was er im wirklichen Bewusstsein vorfindet. Aber er will es verständlich machen. Begriffe kann er dabei noch nicht gebrauchen; denn damit wir etwas darunter verstehen können, müsste er dieselben zuerst einmal 'vor unseren Augen entstehen lassen' - und ebendas nennt er das genetische Verfahren. 

Logisch ist es wohl, aber nicht formal- und schluss-logisch, sondern material-logisch: Die Vorstellungen müssen entwickelt werden, welche durch die (wechselnden) Begriffen bezeichnet werden sollen. Es wird vorgeführt, welche weiteren Vorstellungen sich aus einer gegebenen Vostellung (aus Freiheit) entwickeln können oder (unter Bedingungen) müssen; und welche vorstellungsmäßigen Voraussetzungen einer gegebenen Vorstellung zum Zwecke ihres Verständnisses zu Grunde zu legen sind.

Die genetische Darstellung zeigt, wie die Vorstellungen aus einander hervorgehen - und setzt eo ipso einen schlecht- hin tätigen Vorstellenden voraus.

Der gestrige Beitrag über Trieb und Selbsttätigkeit ist das beste Beispiel. Wenn ich mich als selbsttätig vorstellen will (was ich ja tue), dann muss ich mir einen Grund dafür zuschreiben - einen 'Trieb' eben.

*

Daraus erhellt im Übrigen, dass und warum die genetische Darstellung nicht im selben Maße zwingend sein kann wie die logische (die diskursive, im herkömmlichen Sinn wissenschaftliche). Die Vorstellungen haben einen anschaulichen Kern, der als solcher nicht mitgeteilt werden kann. Es kann ihn nur jeder (auf Aufforderung) selber in sich hervorbringen; doch erst, wenn er will.


Donnerstag, 25. September 2014

Ein Erklärungsgrund.


 
... Aber sie ist, als bloße Tendenz, Trieb: reeller innerer Erklärungsgrund einer wirklichen Selbsttätigkeit.
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System der Sittenlehre, SW Bd. IV, S. 60




Nota.

Es ist trivial, kann aber nicht oft genug gesagt werden, weil das deutsche Wort Trieb in den vergangenen zweihundert Jahren so stark mit biotischer Bedeutung aufgeladen wurde, dass eine physiologische Assoziation auch von gutwilligen Lesern nie ganz ferngehalten werden kann: Fichte behauptet nicht eine irgendwo im Organismus vorfindliche Mechanik und leitet daraus dann die Realität der freien Selbsttätigkeit ab. Sondern er findet die (Vorstellung der) Freiheit im realen Bewusstsein und legt ihr als ihren Erklärungsgrund die Vorstellung eines Triebes bei; weil anders die Realität (der Vorstellung von) der Freiheit unbegreiflich bliebe. Das ist keine logische Konstruktion, sondern eine genetische Herleitung; Rekontruktion des anschaulichen Gehalts. JE




 

Mittwoch, 24. September 2014

Vernunft ist schlechthin praktisch.


Daarom / pixelio.de
 
Die Vernunft ist nicht ein Ding, das da sei und bestehe, sondern sie ist Tun, lauteres, reines Tun. Die Vernunft schaut sich selbst an: dies kann sie und tut sie, eben weil sie Vernunft ist; aber sie kann sich nicht anders finden, denn sie ist: als ein Tun. 

Nun ist sie endliche Vernunft, und alles, was sie vorstellt, wird ihr, indem sie es vorstellt, endlich und bestimmt; sonach wird [ihr] auch, lediglich durch die Selbstanschauung und das Gesetz der Endlichkeit, an welches sie gebunden ist, ... ihr Tun ein bestimmtes. Aber Bestimmtheit eines reinen Tuns als solchen gibt kein Sein, sondern ein Sollen. So ist die Vernunft durch sich selbst bestimmend ihre Tätigkeit; aber - eine Tätigkeit bestimmen oder praktisch sein ist ganz dasselbe. - 

In einem gewissen Sinne ist es von jeher der Vernunft zugestanden worden, dass sie praktisch sei; in dem Sinne, dass sie die Mittel für irgend einen außer ihr, etwa durch unser Naturbedürfnis oder unsere freie Willkür gegebenen Zweck finden müsse. In dieser Bedeutung heißt sie technisch-praktisch. 

Von uns wird behauptet, dass die Vernunft schlechthin aus sich selbst und durch sich selbst diesen Zweck aufstelle, und insofern ist sie schlechthin praktisch.

Die praktische Dignität der Vernunft ist ihre Absolutheit selbst; / ihre Unbestimmbarkeit durch irgend etwas außer ihr und vollkommene Bestimmtheit durch sich selbst. Wer diese Absolutheit nicht anerkennt - man kann sie nur in sich selbst durch Anschauung finden -, sondern die Vernunft für ein bloßes Räsonnier-Vermögen hält, welchem erst Objekte von außen gegeben sein müssten, ehe es sich in Tätigkeit versetzen könne, dem wird es immer unbegreiflich bleiben, wie sie schlechthin praktisch sein könne, und er wird nie ablassen zu glauben, dass die Bedingungen der Ausführbarkeit des Gesetzes vorher bekannt sein müssen, ehe das Gesetz angenommen werden könne. 
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System der Sittenlehre, SW Bd. IV, S. 57f.



Nota. - "Endliche" Vernunft! - 'Unendliche' Vernunft wäre eine bloße Idee, 'von der gar nicht vorgegeben wird, dass ihr in der wirklichen Welt außer uns irgendetwas entspräche'. Sie ist, wie Gott selbst, nur die idealisierte Luftspiegelung der Eigenschaft, die den realen Sterblichen an ihnen selbst die liebsten, oder doch immerhin die würdigsten sind.

Ideen sind ihrer Natur nach nicht begründet noch begründbar, aber beliebig sind darum noch lange nicht. Sie können nämlich (fürs wirkliche Leben) etwas taugen oder nicht. Die Idee Gottes hat die Religionen möglich gemacht, und dass die in der Geschichte zu etwas getaugt haben, ist unstrittig; strittig ist allein, ob es das wert war. Und strittig ist, gottlob, ob es das heute noch ist.

Die Idee einer unendlichen Vernunft dagegen taugt zu nichts; denn dass Vernunft auf der Fiktion beruht - und gar selber diese Fiktion ist - , dass es für alle unsere Urteile ein gemeinsames Maß gäbe, gälte auch dann, wenn es keiner wahrhaben wollte.
JE

Dienstag, 23. September 2014

Das Prinzip der Sittlichkeit ist dieses.



Das Prinzip der Sittlichkeit ist der notwendige Gedanke der Intelligenz, dass sie ihre Freiheit nach dem Begriffe der Selbstständigkeit schlechthin ohne Ausnahme bestimmen solle.

Es ist ein Gedanke, keinesweges ein Gefühl oder eine Anschauung, wiewohl dieser Gedanke sich auf die intellektuelle Anschauung der absoluten Tätigkeit der Intelligenz gründet: ein reiner Gedanke, dem nicht das Geringste von Gefühl oder von sinnlicher Anschauung beigemischt sein kann, da er der unmittelbare Begriff der reinen Intelligenz von sich selber ist; ein notwendiger Gedanke, denn er ist die Form, unter welcher die Freiheit der Intelligenz gedacht wird; der erste und absolute Gedanke, denn da er der Begriff des Denkenden selbst ist, so gründet er sich auf keinen anderen Gedanken als Folge auf seinen Grund und ist durch keinen anderen bedingt.

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System der Sittenlehre,
SW Bd. IV, S. 59





 

Montag, 22. September 2014

Absoluter Anfang, Freiheit und Ursache seiner selbst.


Die Freiheit ist, nach Kant, das Vermögen, einen Zustand (Sein und Bestehen) absolut anzufangen. 

Dies ist eine vortreffliche Nominal-Erklärung. Doch scheint im allgemeinen die Einsicht dadurch nicht viel gewonnen zu haben; denn es sind über die Freiheit noch immer beinahe lauter falsche Begriffe im Umlaufe. Es war nämlich die noch höhere Frage zu beantworten, wie denn ein Zustand schlechthin angefangen werden könne, oder wie sich das absolute Anfangen eines Zustandes denken lasse, welches einen genetischen Begriff der Freiheit gegeben, - diesen Begriff vor unseren Augen erzeugt hätte. 

Dies ist von uns soeben geleistet worden. Der schlechthin angefangene Zustand wird nicht schlechthin an nichts angeknüpft; denn das endliche vernünftige Wesen denkt notwendig nur vermittelnd und anknüpfend so lange fort, bis er das Denken selbst ergreift. Nur wird er nicht an ein anderes Sein, sondern an das Denken angeknüpft.

Um aber den Begriff so aufzustellen, muss man freilich den Weg der Wissenschaftslehre gehen und zu gehen vermögen, von allem Sein als solchem (von der Tatsache) abstrahieren, und von dem, was höher ist denn alles Sein, von dem Anschauen und Denken (von dem Handeln der Intelligenz überhaupt) ausgehen. Derselbe Weg, der in der theoretischen Philosophie allein zum Ziele führt, das Sein (es versteht sich, für uns) zu erklären, macht / auch allein eine praktische Philosophie möglich. Hierdurch wird auch der oben gebrauchte Ausdruck: das Ich stellt sich selbst selbstständig hin, noch klarer. 

Die erste Ansicht unseres Satzes: das Ich nimmt alles, was es ursprünglich ist (es ist aber ursprünglich nichts als frei) in die Anschauung, in den Begriff seiner selbst auf, ist schon vollständig erklärt. Es liegt aber in ihm noch mehr. Alles nämlich, was es in der Wirklichkeit sein kann, wo der Begriff Erkenntnisbegriff wird und der Intelligenz nur das Zusehen bleibt, hängt doch ursprünglich vom Begriffe ab. Was es je werden soll, dazu muss es sich selbst durch den Begriff machen, und was es je sein wird, dazu wird es sich durch ihn gemacht haben. Es ist in jeder Hinsicht sein eigener Grund und setzt auch in praktischer Bedeutung sich selbst schlechthin.

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System der Sittenlehre, SW Bd. IV, S. 37f.



Sonntag, 21. September 2014

Intelligenz lässt sich nur als frei denken; nur Intelligenz lässt sich als frei denken.

Matteo Pugliese

... alles Sein, das selbst aus einem Sein herfließt, ist ein notwendiges Sein, keinesweges aber ein Produkt der Freiheit; oder subjektiv: durch Anknüpfung eines Seins an ein anderes Sein entsteht uns der Begriff eines notwendigen Seins. Hieraus kannst du nun durch Gegensatz schließen, was du eigentlich forderst, um Freiheit zu denken, die du doch denken kannst, und von je her wirklich gedacht hast. .../

Es müsse etwas sich selbst bestimmen, um als frei gedacht werden zu können, forderst du; nicht etwa nur nicht von außen, sondern auch durch seine eigene Natur nicht bestimmt sein. Was bedeutet dieses Selbst? Es wird dadurch offenbar eine Doppelheit gedacht. Das Freie soll sein, ehe es bestimmt ist, - ein von seiner Bestimmung unabhängiges Dasein haben. Darum kann ein Ding nicht gedacht werden als sich selbst bestimmend, weil es nicht eher ist als seine Natur, d. i. der Umfang seiner Bestimmungen. 

Wie soeben gesagt, was sich selbst bestimmen sollte, müsste in einer gewissen Rücksicht sein, ehe es ist; ehe es Eigenschaften und überhaupt eine Natur hat. Dies lässt nur unter unserer Voraussetzung, unter ihr aber sich sehr wohl denken. Das Freie ist als Intelligenz mit dem Begriffe seines reellen Seins vor dem reellen Sein vorher, und in dem ersteren liegt der Grund des zweiten. Der Begriff eines gewissen Sein geht diesem Sein vorher, und [das] letztere ist vom ersteren abhängig.

Unsere Behauptung ist sonach die, dass nur die Intelligenz als frei gedacht werden könne, und dass sie bloß dadurch, dass sie sich als intelligenz fasst, frei werde; denn nur dadurch bringt sie ihr Sein unter etwas, das höher ist als alles Sein, unter den Begriff.

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System der Sittenlehre..., SW IV, S. 35f.


Samstag, 20. September 2014

Das System - in der Darstellung und in der Vorstellung.


Tinguely, Heureka

Wie ein Objektives jemals zu einem Subjektiven, ein Sein für sich zu einem Vorgestellten werden möge - dass ich an diesem bekannteren Ende die Aufgabe aller Philosophie fasse - wie es, sage ich, mit dieser sonderbaren Verwandlung zugeht, wird nie jemand erklären, welcher nicht einen Punkt findet, in welchem das Objektive und das Subjektive überhaupt nicht geschieden, sondern ganz Eins sind. Einen solchen Punkt nun stellt unser System auf und geht von demselben aus. Die Ichheit, die Intelligenz, die Vernunft - oder wie man es nennen wolle - ist dieser Punkt.

Diese absolute Identität des Subjekts und Objekts im Ich lässt sich nur schließen, nicht etwa unmittelbar als Tatsache des wirklichen Bewusstsseins nachweisen. Wie ein wirkliches Bewusstsein entsteht, sei es auch nur das Bewusstsein unserer selbst, erfolgt die Trennung. Nur inwiefern ich mich, das Bewusstseinende von mir, dem Gegenstande dieses Bewusstseins, unterscheide, bin ich mir meiner bewusst. 

Auf den mancherlein Ansichten dieses Trennung des Subjektiven und des Objektiven, und hinwiederum der Vereinigung beider, beruht der ganze Mechanismus des Bewusstseins.

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System der Sittenlehre..., SW IV, S. 1


Nota.

Um ein System der Sittenlehre "nach Prinzipien der Wissenschaftslehre" darstellen zu können, hat Fichte wohl zuerst die... Prinzipien der Wissenschaftslehre umreißen müssen. Es sprach zu Studenten, die etwas über Moralphilosophie hören wollten, und also eine allgemeine Vorstellung von den Grundfragen der Philosophie wohl mitbrachten. Er setzt an dem "bekannteren" Ende an: Wie kommen Dinge ins Bewusstsein? Und gibt gleich eine allgemeinste Antwort: Man wird es nicht verstehen können, wenn man nicht anninmmt, dass sie beide irgendwo einmal ein und dasselbe waren; und diesen Punkt gilt es aufzufinden.

So kann die Darstellung des Systems beginnen. 

Der Philosoph selber hatte woanders angefangen. Er hat begonnen bei dem, was phänomenal gegeben ist - mit dem, was im Bewusstsein als Tatsache wirklich vorkommt. Dann ist er auf seinem analytisch-synthetischen Weg auf das Ich gekommen, wie man es wohl annehmen muss, wenn man sich die Handlungen der Intelligenz begreiflich machen will. Aber dieses Ich ist nicht Sein, sondern Handeln. Ein Etwas, worauf es handelt, ist immer schon vorausgesetzt, und es ist nicht Ich. Wollte ich das Ich rein denken, ohne Widerpart, so müsste ich es als bloßen Trieb denken, eine Energie, die nicht wirken kann, solange sich kein Zylinder bietet, der sie fasst.

Das ist die eigentliche Voraussetzung, doch musste man sie erst heraus finden. Auf ihr baut das System wirklich auf. Aber niemand ist genötigt, sie zu teilen. Sie ist bloße Glaubenssache. Genauer gesagt, eine Geschmacks- sache.
JE



Freitag, 19. September 2014

Begriff vom Zweck.


Guglielmo Lange, Giotto enfant
 
Das freie Wesen handelt als Intelligenz, d. i. nach einem vor der Wirkung vorher von der Wirkung entworfenen Begriff. Das zu Bewirkende muss daher wenigstens so beschaffen sein, dass es überhaupt durch die Intelligenz gedacht werden könne, und insbesondere, dass es als seiend oder nicht-seiend (als zufällig seinem Sein nach) gedacht werde, unter welchem Sein oder Nicht-Sein desselben dann die freie In/telligenz bei Entwerfen ihres Zweckbegriffes wähle. 

Hierdurch ist uns schon die Sphäre angezeigt, in welcher allein wir das durch unsere Kausalität physisch Mögliche aufzusuchen haben, indem ein beträchtlicher Teil des Seienden durch die gemachte Bemerkung ausgeschlossen wird. Nämlich einiges in unserer Welt erscheint uns als notwendig: und wir können es nicht anders denken, mithin auch, da das Wollen an die Denkgesetze gebunden ist, und ihm ein Begriff vorheregeht, auch nicht anders wollen. 

Einiges erscheint uns in seinem Sein als zufällig. Ich kann beispielsweise nichts außer allem Raume setzen wollen, denn ich kann außer dem Raume nichts denken; wohl aber kann ich ein Ding an einem anderen Orte im Raume denken, als dem, den es gegenwärtig wirklich einnimmt, und ebenso kann ich auch den Ort desselben verändern wollen.

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System der Sittenlehre,
Sämmtliche Werke Bd. IV, S. 66f.

Rechtschreibung angeglichen



 

Donnerstag, 18. September 2014

Transzendentale Freiheit und reale.


La Strada

Im Begriffe der Freiheit liegt zuvörderst nur das Vermögen, durch absolute Sponateität Begriffe von unserer mög/lichen Wirksamkeit zu entwerfen; und nur dieses bloße Vermögen schreiben vernünftige Wesen einander mit Notwendigkeit zu. 

Aber dass ein vernünftiges Individuum oder eine Person sich selber frei finde, dazu gehört noch etwas anderes, nämlich dass dem Begriffe von seiner Wirksamkeit der dadurch gedachte Gegenstand in der Erfahrung entpreche; dass also aus dem Denken seiner Tätigkeit etwas in der Welt außer ihm erfolge.

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Grundlage des Naturrechts, Sämmtliche Werke Bd. III, S. 8f.




Mittwoch, 17. September 2014

Weisheit ist Kunst und nicht Wissen.


 
Auch die Sittenlehre ist nicht Weisheitslehre, - dergleichen überhaupt unmöglich ist, indem die Weisheit mehr für eine Kunst zu halten ist, als für eine Wissenschaft - ...
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J. G. Fichte, System der Sittenlehre, SW IV, S. 15 



Dienstag, 16. September 2014

Meine Welt und ich.


zdf 
  
Wenn ich sonach durch meinen Willen etwas in mir selbst verändern könnte, so würde dadurch notwendig auch meine Welt verändert, und indem die Möglichkeit des ersteren angegeben wäre, wäre zugleich auch die Möglichkeit des zweiten erklärt.

Meine Welt wird verändert, heißt: Ich werde verändert; meine Welt wird weiter bestimmt, heißt: Ich werde weiter bestimmt.

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System der Sittenlehre, Bd. IV, S. 72


Nota.

5.63. Ich bin meine Welt. (Der Mikrokosmos.)  

5.641: Es gibt also wirklich einen Sinn, in welchem in der Philosophie nichtpsychologisch vom Ich die Rede sein kann. 

Das Ich tritt in die Philosophie dadurch ein, dass „die Welt meine Welt“ ist.
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Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus 

 

Montag, 15. September 2014

Die Wissenschaftslehre geht von einem Glauben aus.


 
Inwiefern sonach das Wollen ein Absolutes und Erstes ist, ist es schlechthin nicht aus dem Einflusse eines Etwas außer dem Ich, sondern lediglich aus dem Ich selbst zu erklären; und diese Absolutheit desselben wäre es, die nach Abstraktion von allem Fremdartigen übrigbliebe.

Anmerkung

Dass das Wollen in der erklärten Bedeutung als absolut erscheine, ist Faktum des Bewusstseins: Jeder wird es in sich selbst finden, und es lässt sich keinem von außen beibringen, der es nicht schon weiß. Daraus aber folgt nicht, dass diese Erscheinung nicht selbst wieder erklärt und abgeleitet werden müsse, wodurch die erscheinende Absolutheit wieder erklärt würde und aufhörte, Absolutheit zu sein, und sich die Erscheinung derselben in Schein verwandelte: - gerade so, wie es allerdings auch erscheint, dass bestimmte Dinge in Raum und Zeit unabhängig von uns da sind, und diese Erscheinung in einer transzendentalen Philosophie doch weiter erklärt (nur nicht ... in Schein verwandelt) wird. 

Es wird zwar niemand eine solcher Erklärung des Wollens aus etwas anderem zu geben noch irgend ein verständliches Wort zu diesem Behufe beizubringen vermögen; wenn er aber behauptet, dasselbe könne dennoch einen uns freilich unbegreiflichen Grund außer uns haben, so hat eine solche Behauptung freilich nicht den geringsten Grund für sich, es ist aber auch kein theoretischer Vernunftgrund dagegen. 

Wenn  man sich nun doch entschließt, diese Erscheinung nicht weiter zu erklären und sie für absolut unerklärbar, d. i. für Wahrheit und für unsere einzige Wahrheit zu halten, nach der alle andere Wahrheit beurteilt und gerichtet werden müsse, - wie denn eben auf diese Entschlie/ßung unsere ganze Philosophie aufgebaut ist - so geschieht dies nicht zufolge einer theoretischen Einsicht, sondern zufolge eines praktischen Interesse: Ich will selbstständig sein, darum halte ich mich dafür. Ein solches Fürwahrhalten ist aber ein Glaube. 

Sonach geht unsere Philosophie aus von einem Glauben, und weiß es. Auch der Dogmatismus, der, wenn  er konsequent ist, die angeführte Bahauptung macht, geht gleichfalls von einem Glauben aus (an das Ding an sich); nur weiß er es gewöhnlich nicht. ... Man macht in unserem System sich selbst zum Boden seiner Philosophie, daher kommt sie demjenigen bodenlos als vor, der dies nicht vermag; aber man kann ihn im voraus versichern, dass er auch anderwärts keinen Boden finden werde, wenn er sich diesen nicht verschaffe, oder mit ihm sich nicht begnügen wolle.

Es ist notwendig, dass unsere Philosophie dies recht laut bekenne, damit sie doch endlich mit der Zumutung verschont werde, den Menschen von außen anzudemonstrieren, was sie selbst in sich erschaffen müssen.

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System der Sittenlehre..., SW IV, S. 25f.





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Sonntag, 14. September 2014

Geist ist Einbildungskraft.



Was es auch sein möge, das den letzten Grund einer Vorstellung enthält, so ist wenigstens so viel klar, dass es nicht selbst eine Vorstellung sei und dass eine Umwandlung damit vorgehen müsste, ehe es fähig ist, in unserm Bewusstsein als Stoff einer Vorstellung angetroffen zu werden. / Das Vermögen dieser Umwandlung ist die Einbildungskraft. – Sie ist Bildnerin. Ich rede nicht von ihr, insofern sie ehemals gehabte Vorstellungen wieder hervorruft, verbindet, ordnet, sondern indem sie überhaupt etwas erst zu einer Vorstellung macht. – Sie ist insofern Schöpferin des eigenen Bewußtseins. Ihrer, in dieser Funktion ist man sich nicht bewußt, gerade weil vor dieser Funktion vorher gar kein Bewusstsein ist. Die schaffende Einbildungskraft. Sie ist Geist.

Resultat. Dieses Bild müssen wir selbst bilden.
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Über die Pflichten des Gelehrten, Gesamtausgabe II/3, S. 297f.



Samstag, 13. September 2014

Idee.



Der Begriff der Sittlichkeit bezieht ... sich gar nicht auf etwas, das da ist, sondern auf etwas, das da sein soll. ...

Das Objekt dieses Begriffes ... kann nur eine Idee sein; ein bloßer Gedanke in uns, von welchem gar nicht vorge- geben wird, daß ihm in der wirklichen Welt außer uns etwas entspräche. ... 

Ideen können unmittelbar nicht gedacht werden. Sie sind Aufgaben eines Denkens, und nur, inwiefern wenigstens die Aufgabe begriffen werden kann, kommen sie in unserm Bewußtsein vor.
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System der Sittenlehre..., SW IV, S. 72 



Freitag, 12. September 2014

Nur was zufällig ist, braucht einen Grund.




Man sucht nur den Grund von zufälligen Dingen. Die Philosophie überhaupt sucht den Grund von notwendigen Vorstellungen, diese müssen also als zufällig gedacht werden. Es wäre Unsinn, nach dem Grund eines Dinges zu fragen, das ich nicht für zufällig hielte. Ich halte etwas für zufällig heißt: Ich könnte denken, dass es gar nicht oder dass es ganz anders wäre. 

So sind die Vorstellungen vom ganzen Weltsystem; wir denken uns die Erde füglich als anders sein könnend, und uns selbst können wir auf einen andern Planeten versetzt denken. Ob wir ohne solche Vorstellungen sein können, belehrt uns die Philosophie; aber dass wir das Weltsystem für zufällig halten, ist gewiss, denn nur darum können wir nach einem Grunde desselben fragen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Nachschrift K. Chr. Fr. Krause, Hamburg 1982, S. 13 
[Rechtschreibung angepasst]

Nota.
Das, was seine Zeitgenossen als 'Naturgesetze' ansahen, zählte F. folglich zum Zufälligen, 'das auch anders sein könnte'; so wie alles Faktische.
JE




Nota.
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